«Die ich rief, die Geister»: (Über-) Leben in der digitalisierten, virtualisierten Welt

28.11.2016.

28.11.2016
Die uns bekannte «analoge» Welt ist weitestgehend beschrieben oder «data ziert». Dank massivem Einsatz der IKT ist diese Welt inzwischen «digital» geworden und lässt sich als abstraktes Konstrukt nach Belieben gestalten. Für viele Menschen stellt diese Entwicklung nicht nur eine Chance, sondern auch eine Überforderung dar, die Ängste auslösen kann. Der Umgang damit erfordert von allen – und für alle – Beteiligten Information, Bildung, Kompetenz und Verantwortung.

Markus Fischer | MF Consulting Unabhängiger Berater

Mit der Digitalisierung werden Menschen, Organisationen, Dinge und Leistungen «virtuell». Sie lassen sich nach Belieben generieren, bearbeiten, verändern, löschen. Der Ein uss – und die Beein ussung – ist nicht für alle klar und transparent. Damit verändern sich auch Dimensionen und Machtverhältnisse. Mit der Digitalisierung, Virtualisierung und Vernetzung werden Entitäten ubiquitär; sie können sich der Kontrolle entziehen – oder in unbeabsichtigter bzw. unzulässiger Weise kontrolliert werden.

Dank preiswerten, mobilen und überall verfügbaren «Smart Devices» und konsequenter Vernetzung in allen Kontexten unseres Daseins kann sich kaum noch jemand vor dieser Situation und Entwicklung verschliessen. Ob wir wollen oder nicht:

– Ab Geburt oder Zuzug liegen wir als digitale Datensätze in elektronisch geführten amtlichen Registern vor. Dank E-Government und E-Participation werden wir demnächst  ächendeckend als virtuelle Bürger/innen durch persönliche «Bürgerkonti» oder «Bürgerdossiers» repräsentiert sein.

– Als Versicherte residieren wir – ob gesund, krank, verunfallt oder tot – digital in behördlichen und privatwirtscha lichen Datenbeständen. Dank E-Health und TeleMedCare verfügen wir über «Personal Health Records» mit umfassenden gesundheitsrelevanten Daten, behandlungsrelevante elektronische Patientendossiers und «Wearable Devices» voller Sensoren.

– Als Akteurinnen und Akteure und Objekte der formalen Aus- und Weiterbildung sind wir «Records» des Bildungswesens und führen unsere bildungsrelevanten Erzeugnisse und Ergebnisse in «Personal Education Purses». Spätestens in dieser Lebensphase sind wir auch in «Social Media und Networks» omnipräsent.

– Als Bewohner/innen von Liegenscha en, Beschä igte in Betrieben, Bezüger/innen von Versorgungs- und Entsorgungsdiensten, Benützer/innen von Transport, Verkehr, Mobilität und Logistik, Angehörige und Mitglieder von Organisationen aller Art sind wir grenzenlos vernetzt und überall erfasst.

– Dank reger Tätigkeit in der Freizeit, Hobbys, Kultur, Reisen, Sport usw. sorgen wir schliesslich dafür, dass wir als Datensätze und Datenspuren auch in diesen und weiteren Aktivitätskontexten unauslöschlich werden.

Mit der Digitalisierung, Virtualisierung und Vernetzung unserer Welt explodiert gleichsam die Menge der produzierten Daten. Diese «Big Data» sollen überall und jederzeit verfügbar sein sowie nach Belieben analysiert und genutzt werden. Dank Preiszerfall, Rechnerleistung, Speicherdichte, Breitbandnetzwerken und neuen Geschä smodellen wandern sie zunehmend in die «Cloud» – noch abstrakter, noch einfacher nutzbar.

Die fortschreitende Miniaturisierung der IKT führt dazu, dass sich ihre Devices und Funktionen immer mehr der Wahrnehmung in gewohnten Grössenordnungen entziehen und zu unsichtbaren «Embedded Systems» werden. Der Abstraktionsgrad setzt sich somit auch bei der Hardware fort: Die überall vorhandenen und miteinander vernetzten Gegenstände des «Internet of Everything» werden zwar «smarter», aber auch komplexer und schwieriger zu kontrollieren. Dies betri auch industrielle Anlagen, Steuerungen, Sensoren usw., wodurch wichtige und kritische Infrastrukturen, Daten und Dienste zunehmend verwundbar werden, wenn sie nicht «resilient» sind.

Als moderne Zauberlehrlinge bedienen wir uns aller Geister, die uns die IKT erschliessen. Werden wir dabei auch zu den alten Hexenmeistern, welche die «Ausgeburten der Hölle» in die Schranken weisen können? Wohl kaum! Dazu lediglich drei kurze Gedankengänge:

– Verfügen wir individuell und als Informationsgesellscha über die entsprechenden Fähigkeiten, das Wissen, die Kompetenzen, die «Attitude»? Bilden wir uns mit Blick auf die Entwicklungen ständig weiter?

– Bringen wir die nötige Disziplin auf, um unser Wirken und unsere Beiträge zu diesen Entwicklungen im Gri zu behalten? Sind wir bereit, die Konsequenzen zu tragen?

– Sind wir noch «Master» und «Owner» unserer persönlichen Daten und Spuren? Können wir diese noch «managen»? Ist unsere Virtualisierung im Bedarfsfall noch korrigierbar, löschbar?

Falls uns bei solchen Fragen Zweifel beschleichen, sollten wir uns überlegen, wo wir welche Hebel ansetzen (müssen). Da diese Entwicklungen irreversibel sind, gibt es kein Fallback-Szenario in eine Zeit ohne IKT. Als mögliche individuelle Handlungsfelder bieten sich beispielsweise an:

– Bewusste Klassi kation der persönlichen Daten, entsprechend di erenzierte Führung und Verwendung, Befolgung angemessener Sicherheits- und Schutzmassnahmen.

– Konsequenter Einsatz der Identi kations-, Funktions- und Berechtigungsprüfung, der Signatur und Verschlüsselung mittels quali zierter Dienste und Prozesse in allen relevanten Aktivitätskontexten.

– Di erenzierte Nutzung von Mitteln, Diensten und Prozessen der IKT – bis hin zum situativen Verzicht, sofern bewusst gesetzte Kriterien nicht erfüllt sind.

– Thematisierung, Information und Förderung der Kompetenzen im Rahmen der formalen Aus- und Weiterbildung sowie in professionell geführten, vertrauenswürdigen Umgebungen (Kompetenzund Expertennetzwerke).

Damit können wir als Zauberlehrlinge zumindest unseren zeitweiligen Übermut etwas bändigen. Doch selbst wenn wir umsichtig, diszipliniert und konsequent handeln, werden wir in vernetzten Umgebungen nie mehr zum Status quo ante «geschützter analoger Unikate» zurück nden.

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