“Unser Gehirn hat einen falschen Algorithmus entwickelt”

31.08.2019.

Deutsche müssen weniger wie Ingenieure und mehr wie Programmierer denken – und Veränderungen zulassen, sagt der Wirtschafts- und Organisationspsychologe Peter Fischer. Andernfalls drohen Massen von Arbeitslosen.

Quelle: golem.de

“Bedenkenträger bremsen in Deutschland agiles Arbeiten aus und der Wunsch nach Stabilität verhindert stetige Veränderungen. Dieses falsche Denkmuster müssen wir rasch korrigieren und vor allem ältere Menschen mitnehmen.” Das meint Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Sozial-, Organisations-, Arbeits- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg. Nach einer Lehre zum Bankkaufmann hat er Psychologie studiert, dann in Wirtschafts- und Organisationspsychologie promoviert und habilitiert. Seit Jahren ist er als Unternehmensberater für verschiedene Firmen aus unterschiedlichen Branchen tätig. Er sagt auch: “Gelingt die Umstellung nicht, gibt es hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland.”

Golem.de: Herr Fischer, ist Digitalisierung ein so bedeutendes Thema, das es rechtfertigt, permanent in aller Munde zu sein?

Peter Fischer: Ja, und leider verschlafen wir Deutschen die Digitalisierung. In allen digitalen Technologien gibt es exponentielle Wachstumsraten und wir diskutieren über die Basis – die Bandbreite der Datenübertragung – anstatt über Block Chain, Big Data und vor allem Social Media.

Golem.de: Warum verschlafen wir die Digitalisierung?

Fischer: Zum einen aufgrund unseres extrem ausgeprägten Ingenieursdenken. Alles wird bis ins letzte Detail geplant, um nach viel zu langer Zeit ein vollfunktionsfähiges Produkt zu präsentieren. Dabei geht digitale Produktentwicklung deutlich schneller, wenn ein entscheidendes Grundprinzip des Programmierens angewandt wird: Trial and Error.

Es erfordert eine andere Art zu denken, so wie es die Amerikaner tun. Die sind tatsächlich agil, bringen rasch Prototypen auf den Markt, die dann kontinuierlich verbessert werden. In Deutschland stehen Bedenkenträger solcher Agilität massiv im Weg, sie verhindern und vermiesen die Lust an neuen Entwicklungen. Unsere momentane Mentalität passt nicht zu der, wie in der digitalen Welt Produkte entstehen.

Golem.de: Trial and Error bedeutet Fehler in Produkten, die der Kunde ausbaden muss.

Fischer: Auch unser Gehirn arbeitet nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Das Gehirn ist bekanntlich die Mutter aller neuronalen Netze, das erst mit vielen Versuchen schlau wird. Der zweite Grund, weshalb wir die Digitalisierung verpennen, ist ebenfalls ein psychologischer und dort unter dem “not invented here syndrom” bekannt.

Wir Deutschen haben die Technologien für die Digitalisierung zwar mit erfunden, es sind aber die großen amerikanischen Firmen wie Google und Facebook, die damit Profit machen. Mit dem Syndrom ist gemeint, dass wir lieber abwarten und schauen, wie weit die anderen damit kommen. Sie kommen sehr weit, wie man sieht, und bis Deutschland aufwacht, ist der Markt aufgeteilt.

Golem.de: Wenn Digitalisierung kein zeitlich befristeter Prozess, sondern digitales Arbeiten die prägende Form der Zukunft ist, dann wird sich unsere Mentalität wohl radikal ändern müssen?

Fischer: Unser Denkfehler ist: Wir erwarten einen Wandel. Digitalisierung ist aber kein Change-Management-Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist. Bei der Digitalisierung geht nichts zu Ende. Wir stehen erst am Anfang einer Veränderung, die in kürzester Zeit 98 Prozent aller Prozesse digitalisieren wird. Wir müssen uns auf einen permanenten Wandel ohne Ende vorbereiten.

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