Precht fordert 25-Prozent-Steuer „auf all den Kram“ im Online-Handel

16.10.2019.

Der Philosoph will das Onlineshopping besteuern. Die Einnahmen sollen an die Kommunen gehen. Im Interview erklärt Precht seine Idee und spricht über sein neues Buch.

Quelle: handelsblatt.com

Düsseldorf. Der Philosoph und Bestseller-Autor Richard David Precht fordert die Einführung einer 25-prozentige Steuer „auf all den Kram, den wir tagein, tagaus online bestellen. Und dieses Geld sollte den Kommunen für die Strukturentwicklung zur Verfügung gestellt werden“, sagte er in einem Interview mit dem Handelsblatt.

„Nicht jede Innovation ist ein Fortschritt“, so Precht. Sein Ziel: „Ich möchte gerne eine für unsere Demokratie wie unsere Wirtschaft hochproblematische Entwicklung stoppen. Meine Steuer-Idee würde die Zukunft wahrscheinlich lebenswerter machen.“

Der 54-Jährige warnt vor einer totalen Verödung der Innenstädte, die letztlich auch die Gesellschaft an sich bedrohe: „Ich war unlängst seit vielen Jahren wieder in der Innenstadt meiner Heimatstadt Solingen – und war entsetzt. In meiner Kindheit war die Fußgängerzone voller qualifizierter Einzelhändler. In den neunziger Jahren rollten die Filialketten das Terrain auf. Mittlerweile steht von drei Läden mindestens einer leer, während die anderen beiden von Ramsch-Boutiquen und Dönerbuden bespielt werden.“

So sei das mittlerweile überall. Prechts Fazit: „Es gibt keinen Grund mehr, am Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Darunter wiederum leidet das Gemeinschaftsgefühl.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Precht, hat es Sie bei der Wiederbeschäftigung mit dem 19. Jahrhundert selbst überrascht, wie viele Anknüpfungspunkte man dort zur Jetztzeit finden kann?
Schon die erste industrielle Revolution hatte ja das Ende einer tausendjährigen Herrschaft von Kirche und Adel und damit der gottesfürchtigen Zeit eingeläutet und zugleich den Beginn einer Leistungsgesellschaft, die es in dieser Form vorher nie gegeben hat. Im 19. Jahrhundert fächern sich die daraus resultierenden sozialen Probleme ebenso auf wie die alternativen Versuche, den Kapitalismus neu zu denken oder zu ersetzen. Das erleben wir gerade wieder.

Marx ist in Ihrer Philosophiegeschichte überraschenderweise längst nicht so dominant, wie man vielleicht hätte erwarten können.
Weil er auch nur einer von vielen interessanten Denkern damals war. Ich habe versucht, ihn aus seiner Zeit heraus zu erklären. Er ist ja kein genialer Einzeltäter, sondern eher ein hochbegabter Kompilator…

…was die höfliche Beschreibung eines Plünderers ist.
Ja, aber das gilt ja für so viele Denker und ist per se nicht verwerflich. Das Leben baut nichts auf, wofür es die Steine nicht woanders herholt. Marx’ Leistung besteht in der Art und Weise, wie er die Dinge neu kombiniert hat.

Was ist von Marx übrig geblieben – außer zuletzt die Jubelfeiern zu seinem 200. Geburtstag?
Am aktuellsten dürfte sein, dass Marx im dritten Band des „Kapitals“ den Zusammenbruch der Finanzindustrie vorausgesagt hat. Bei ihm ist Geschichte bekanntlich vorherbestimmt. Das glauben die Anhänger des Silicon Valley heute auch wieder, sie prophezeien nur anderes: Mensch und Maschine nähern sich an; irgendwann lassen wir uns Chips implementieren, bevor die Maschinen (bei Marx waren es noch die Proletarier) die Herrschaft übernehmen. Bei beiden aber findet sich der gleiche Widerspruch: Einerseits wird dauernd zur Revolution aufgerufen. Andererseits fragt man sich: Wozu eigentlich, wenn doch eh alles determiniert ist?

Ihre Schlussfolgerung?
Dass beide Generationen von Visionären sich letztlich selbst nicht trauen. Mir fällt überhaupt auf, dass die Vordenker des Silicon Valleys alles infrage stellen, selbst den Menschen. Nur den Kapitalismus scheint es in deren Zukunftsszenarien auch in Millionen von Jahren noch zu geben.

Schon der Frühsozialist William Godwin hoffte, die Maschinen würden den Menschen von der Fron der Arbeit befreien. Warum ist eigentlich auch daraus bis heute nichts geworden, obwohl wir Godwins Idealen doch deutlich näher gekommen sind?
Weil das offensichtlich viel Zeit braucht. Godwin ist in der Tat von all den frühsozialistischen Utopisten der für heute spannendste. Er sah bereits, dass die von der Arbeit befreiten Menschen durch ein Mehr an Bildung ein sinnvolles und erfülltes Leben führen können. Dafür kommt es aber auf die Kultur an, in der man lebt.

Auch die „industrielle Religion“ des nach seinem Schöpfer benannten Saint-Simonismus erinnert sehr an die unkritische Verehrung des technischen Fortschritts als gesellschaftlicher Heilsbringer heute.
Die Verwandtschaft der beiden Bewegungen ist groß, ja. Es gab damals viele frühsozialistische Bewegungen, die bis in den Spiritismus und das Okkulte reichten. Besonders beliebt war aber die Idee, dass der wissenschaftliche Fortschritt die Menschheit erlösen werde. Das erleben wir bei den Anhängern des Silicon Valleys heute wieder – mit einem ähnlichen Denkfehler.

Nämlich?
Seit der Französischen Revolution ist eigentlich klar, dass Fortschritt nichts Lineares ist. Schauen Sie sich um! Eine gewaltige industrielle Revolution karnevalisiert heute wie damals die Gesellschaft: Alles wird vertauscht, maskiert, demaskiert und sieht plötzlich anders aus. Die stärkste Bewegung ist dann aber immer erst die Restauration, zu der es jedes Mal kommt, wenn große Umbrüche die Gesellschaft erschüttern.

Die Restauration damals wie heute basiert auf Angst. Haben Sie angesichts Ihrer Beschäftigung mit den Umbrüchen im 19. Jahrhundert womöglich auch mehr Verständnis für den ängstlichen AfD-Wähler, der sich im Jahr 2019 abgehängt fühlt?
Ich kann diese Angst verstehen und entdecke in mir selbst immer wieder konservative Seelenpunkte. Nicht alles wird ja immer nur besser. Unter humanistischen Gesichtspunkten kann der eine oder andere Fortschritt durchaus auch als Rückschritt gewertet werden. Nicht alles Neue ist gut. Die Frage ist oft eher: Was haben die Konservativen für die Zukunft anzubieten? Und da schwächeln sie meistens.

Die Gegenwart wird dennoch bestimmt vom Erfolg populistischer Bewegungen in Europa, aber auch von Ikonen wie Boris Johnson oder Donald Trump.
Derlei konnte man im 19. Jahrhundert schon genauso erleben. Und das war auch der Nährboden für die industriellen Katechismen von politischen Denkern wie Saint-Simon. Wirtschaft und Wissenschaft versprachen Ordnung im Chaos. Auch heute wollen Vordenker des Silicon Valleys die oft wirren demokratischen Prozesse durch eine neue Art der Sozialtechnik ersetzen: Es wird uns suggeriert, dass künftig Algorithmen für uns Entscheidungen fällen können, gegen die dann aber kein Einspruch mehr möglich ist.

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