Agilität auf dem Weg zum Mainstream

26.06.2019.

Quelle: ictk.ch

Im Rahmen einer Studie befragte Odgers Berndtson Executive Search im DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) rund 2’500 Manager zum Thema “agiles Führen”. Die Studienautoren waren doch etwas überrascht, dass sich gleich 73 Prozent positiv respektive bejahend zu diesem Thema äusserten. Im nachfolgenden Interview unterhielt sich ICTkommunikation mit Roger Gisi, dem Inhaber von Gisi Consult und Gründer von Plattformen wie CRM-, Cloud- und Security Finder Schweiz sowie Digitaleschweiz.ch, ob es für eidgenössische Firmen Zeit für ein neues Management, andere Menschen, mehr Technologie sei oder ob überhaupt ein neues “Betriebssystem” für Organisation und Gesellschaft für eine neue Zeit vonnöten wäre.

ICTkommunikation: Warum sollen oder müssen Unternehmen heute grundsätzlich agil sein?

Roger Gisi: Das “Müssen” ist natürlich nicht zwingend, aber grundsätzlich sollten Unternehmen agil agieren, wenn sie in der neuen, digitalen Welt nicht stehen bleiben oder gar abgehängt werden wollen. Vor dem Hintergrund der technologischen Möglichkeiten als wichtigem Treiber ist Agilität ein wichtiger Eckpfeiler, um disruptiven Geschäftsmodellen, die durch Cloud, Mobile und Social befördert werden, nachgehen zu können. Laut Schätzung von Experten werden bis zum nächsten Jahr beispielsweise bereits über 50 Milliarden „Smart Objects“ im Internet der Dinge (IoT) miteinander vernetzt sein. Dazu haben wir die Explosion von Daten und Anwendungen: So findet alle 18 Monate zumindest eine Verdoppelung der Daten statt, und die Anwendungen wachsen um 100 Prozent in Abständen von rund zwei Jahren. Hinzu kommen erhöhte Sicherheitsanforderungen denn wohl 60 Prozent der Daten werden in den ersten Stunden einer Attacke gestohlen. All dies bewältigen wir nur, wenn Mitarbeiter, Unternehmer, die Unternehmen und Organisationen sich ebenfalls auf einen neuen Level begeben, und benennen wir diesen Level, wenn Sie so wollen, einfach als Agilität. Denn Agilität ist gemäss Definition ein Merkmal eines Managements, das flexibel, aktiv, antizipativ und initiativ agiert, um notwendige Veränderungen einzuführen.

ICTkommunikation: Was bedeutet dies konkret für die Unternehmensführung?

Roger Gisi: Agilität braucht vor allem Management-Qualität, Koordination und ein beharrliches Durchsetzungsvermögen. Getreu dem Modell “Digital Trust”, benötigen die Unternehmen, mehr noch als früher, eine klare Unternehmensstrategie, in der die Digitalisierung eingebettet ist und auf der sie wiederum Vertrauen aufbauen können. Die Eckpunkte dieser Strategie müssen im Denken, Wirken und in der Realisation aus Sicht des Kunden, des Konsumenten und der Mitarbeiter erkennbar und als Leistungskomponenten im digitalen Wertschöpfungsprozess abgebildet sein.

Starten wir bei den Konsumenten-Erlebnissen: Schon 1992 schrieb Bill Gates, dass alles, was beim Kundenkontakt mit (damals) EDV geleistet werden könne, sich dahingehend wandeln werde. Das braucht dann logischerweise relevante Produkte- und Service-Innovationen und das Ganze untermauert mit dem Kostenmanagement und den Unternehmensstärken.

ICTkommunikation: Wie können die Unternehmen die Einführung agiler Führungskriterien aber tatsächlich bewältigen?

Roger Gisi: Auf die Anforderungen, wie sich agile Vorgehensmodelle einführen und im Unternehmen skalieren lassen, finden viele Betriebe noch keine Antwort. Und diese zu finden, ist auch wirklich nicht einfach. Zu viele bewegen sich noch in betonierten Siloumgebungen mit starken Hierarchien und starren Berichtswesen. Aber der digitale Wandel erfordert neue Ansätze und klare strategische Management-Entscheidungen, interne Prozesse. Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen müssen neu gedacht und angepasst und die Daten digital dokumentiert und bereit gestellt werden. Schlussendlich braucht es massgeschneiderte digitale Lösungen, um Veränderungsprozesse in Gang zu setzen.

Um diesen notwendigen „Befreiungsschlag“ hinzubekommen, heuern die Verantwortlichen agile Coaches, Scrum-Master und Entwickler an. Die Verantwortung für den Change-Prozess selbst möchten sie als “strategische Aufgabe” in den eigenen Reihen halten. Diese agilen Coaches und Software-Engineers stehen nicht einfach so zur Verfügung auch, wenn die Aufgaben mehr und die Entwicklungszyklen kürzer werden.

Auch erprobtes Management muss die Erfahrung machen, dass es mit der Umstellung auf agile Prozesse nicht so schnell vorankommt, wie erhofft, weil ihm die dafür qualifizierten Mitarbeiter fehlen. Oft sind es die Mitarbeiter aus IT-Abteilungen, Digital Labs oder Fachbereichen, die den digitalen Change-Prozess anstossen, weil sie den Druck zur Digitalisierung hautnah erleben. Ihnen fehlt aber das Koordination- und Durchsetzungsmandat entsprechender Massnahmen, weshalb die Veränderungsprozesse im Bottom-up-Ansatz länger dauern als wenn sie von oben eingeleitet werden.

ICTkommunikation: Wie aber steht es um die Menschen und um die Organisationen selber bestellt?

Roger Gisi: Egal ob digital oder analog,- es geht immer um die Menschen, um deren Bedürfnisse und deren Befindlichkeiten. Das soll sie aber nicht daran hindern, „Kundenservice 360-Grad, 24 Stunden“ zu verstehen. Das erfordert ein klares Human Change Managment, demzufolge sich die HR-Abteilungen noch viel stärker einbringen müssen. In vielen Unternehmensbereichen sollte man die Personalabteilungen viel stärker in den Veränderungsprozess involvieren. Denn der Umbau, die Transformation zu den neuen Herausforderungen hat vielfältige Auswirkungen auf personalpolitische Themen. Beispielsweise gilt es, die Arbeitszeiten zu flexibilisieren und neue Incentivierungs-Systeme für die Teams einzuführen, da diese sich nun weniger an klassischen Projektvorgaben orientieren, sondern in Wirkungsketten denken, handeln und messen müssen. Dazu kommt, dass durchgängige Intelligenz das Optimierungspotential in den digitalen Geschäftsmodellen steigert. Das führt uns dann zur neuen Organisation wo wir die die minimal notwendige Hierarchie, die minimal notwendige Ordnungsstruktur und die maximal mögliche Form der Selbstorganisation als Zielbilder setzen müssen. Alles andere dazwischen sollten wir zu Gunsten eben der Agilität einfach weglassen. Das führt uns schrittweise zum Unternehmen 4.0, ermöglicht einfach diese neuen Geschäftsmodelle und steigert die Zukunftsfähigkeit der Mitarbeitenden und der Führung. Gelebt, stellt es auch eine Art neues Betriebssystem für Unternehmen, Organisation, Prozessen, Management und Kundenmanagement dar.

ICTkommunikation: Die kleinen und mittleren Betriebe der Schweiz dürften aber von einem solchen Szenarium noch ziemlich weit entfernt sein!

Roger Gisi: Ja. Der Einsatz agiler Methoden, von der Entwicklung über den Betrieb, den Support und das Projektmanagement ist in letzter Zeit im KMU-Bereich nur wenig gestiegen. Aber die Geschwindigkeit der Digitalisierung fordert mehr, viel mehr. Man weiss, dass die Nutzung agiler Methoden mit der der Grösse des Unternehmens steigt. Die Gründe für die schleppende Adaption in der KMU-Wirtschaft sind offenbar Schwierigkeiten mit agilen Arbeitsweisen. Unternehmen können agile Methoden entweder nicht in das althergebrachte Organisationsmodell integrieren oder die Mitarbeiter nehmen sie nicht an. Wie soll man es also anpacken?

Agilität braucht viele Kompetenzen, da sie relativ komplex daherkommt. Für mich sehr treffend ist es als Thema „New Work“ in der Map Megatrend des Zukunftsinstituts dargestellt. Agilität bedeuet hier einen wesenentlich Kulturwandel. Zu diesem zählt etwa, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und Führungskräfte zu stärken und immer wieder den Erfahrungsaustausch zu fördern. Plattformen eignen sich dafür als Communities, um sich austauschen und voneinander zu lernen.

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